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Viertelparität: Unterschied zwischen den Versionen

(Streitgespräch im Tagesspiegel)
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Berlins Wissenschaftssenator Flierl will die Professoren in den
 
Berlins Wissenschaftssenator Flierl will die Professoren in den
 
Uni-Gremien entmachten/Ein Streitgespraech zwischen
 
Uni-Gremien entmachten/Ein Streitgespraech zwischen
* Senator Flierl
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* Senator [[:de:Thomas Flierl|Thomas Flierl]]
* Präsident Lenzen
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* Präsident [http://www.an-morgen-denken.de/mitglieder/lenzen.htm Dieter Lenzen]
  
 
TAGESSPIEGEL: Herr Flierl, nicht wenige Berliner Forscher fuehlen sich
 
TAGESSPIEGEL: Herr Flierl, nicht wenige Berliner Forscher fuehlen sich

Version vom 14. September 2005, 14:44 Uhr

Viertelparität heißt, dass die an der Universität arbeitenden Menschen vier Statusgruppen zugeordnet werden:

  1. Sonstige Mitarbeitende,
  2. Studierende,
  3. Wissenschaftliche MitarbeiterInnen und
  4. ProfessorInnen.

Bei Viertelparität haben alle vier Statusgruppen gleiches Stimmrecht in den Gremien der akademischen Selbstverwaltung.


Streitgespräch im Tagesspiegel

Es dürfen sich keine Präsidialregime etablieren

Berlins Wissenschaftssenator Flierl will die Professoren in den Uni-Gremien entmachten/Ein Streitgespraech zwischen

TAGESSPIEGEL: Herr Flierl, nicht wenige Berliner Forscher fuehlen sich von Ihrer Hochschulpolitik abgeschreckt. So will Helmut Schwarz, renommierter Chemiker an der TU Berlin und Vizepraesident der DFG, nicht Praesident der Humboldt-Universitaet werden. Denn anstatt die Hochschulen endlich in die Autonomie zu entlassen, gaengele der Senat sie zunehmend als "nachgeordnete Behoerden". Eine angesehene Hochschule verliert einen attraktiven Kandidaten muessen Sie Ihre Politik ueberdenken?

FLIERL: Das ist keine sachgerechte Darstellung der Berliner hochschulpolitischen Verhaeltnisse. Vielleicht sucht der Kandidat einen Grund, das Amt auszuschlagen. Im bundesdeutschen Vergleich haben wir mit dem Hochschulvertrag in Berlin eine gute Position, wir steuern die Hochschulen auf Abstand, es gibt keine direkten Ministerialeingriffe mehr. In der Tat geht es jetzt aber darum, die Hochschulautonomie weiter zu staerken.

TAGESSPIEGEL: Herr Lenzen, uebertreibt Helmut Schwarz?

LENZEN: Ich glaube nicht. Wir wuenschen uns in der Tat mehr Autonomie. Es war lange Zeit so, dass Berlin einen Autonomie-Vorsprung hatte, aber den drohen wir jetzt zu verlieren. Die TU Darmstadt etwa hat weit mehr Entscheidungskompetenzen, Niedersachsen und Baden-Wuerttemberg haben neue Hochschulgesetze. In Berlin dagegen sollen gerade die Hochschulen ihr eigenes Liegenschaftsmanagement an eine zentralistische Organisation verlieren. Man muss im Gegenteil ueber andere Rechtsformen nachdenken, Stiftungsmodelle oder Teilprivatisierungen, die mehr Beweglichkeit schaffen.

TAGESSPIEGEL: Herr Flierl, koennte das in Berlin so laufen?

FLIERL: Der alleinige Diskurs ueber die Autonomie der Hochschulen reicht nicht hin. Jeder einigermassen philosophisch gebildete Mensch wird erkennen, dass die Kategorie der Autonomie zwingend die Kategorie der Heteronomie als dialektisches Gegenstueck braucht, sonst ist sie gar nicht zu denken. Meine Vision von Staerkung der Autonomie der Hochschulen ist, dass diese mit einer weiteren inneren Demokratisierung der Hochschulen verbunden wird. Die Gefahr ist doch, dass die Reduktion der oeffentlichen Haushalte dazu fuehrt, dass eine vermeintlich autonome Hochschule sich in neue Abhaengigkeiten begibt, zum Beispiel von Partnern in der Wirtschaft, von den Kraeften des Geldes.

LENZEN: Wir brauchen Rechtsformen, die Staatsverantwortung wahren, aber eben auch eine effiziente Steuerung moeglich machen. Wir taumeln auf eine oekonomische Situation zu, in der wir gar keine andere Wahl haben. Mir ist es wichtiger, viele junge Leute, besonders auch aus bildungsfernen Schichten, mit hoher Qualifikation in die Zukunft zu fuehren, als weiter abbauen zu muessen. Wir brauchen das Recht, eigene Einnahmen zu erzielen und das Berufungsrecht.

TAGESSPIEGEL: Wuerden Sie den Hochschulen das Berufungsrecht ueberlassen, Herr Flierl?

FLIERL: Ja, das waere mit der anstehenden Novelle des Berliner Hochschulgesetzes moeglich. Das jetzige Berufungsrecht ist in der Tat noch ein absolutistisches Rudiment. In meiner Zeit als Senator gab es allerdings ohnehin keine ministerialbuerokratisch oder gar politisch motivierten Personalentscheidungen. Das war in den vergangenen Jahren durchaus anders. In mehr als 95 Prozent folgen wir den Berufungslisten der Universitaeten.

TAGESSPIEGEL: Was ist mit den uebrigen fuenf Prozent?

FLIERL: Manchmal wurden Aspekte der Gleichstellung nicht beruecksichtigt oder die Strukturplanungen der Uni. Teilweise hat auch die Universitaetsleitung, obwohl sie gar nicht dazu befugt ist, andere Vorstellungen unterbreitet als die Berufungskommission oder der Akademische Senat. Dann haben wir geprueft.

LENZEN: Herr Flierl, Sie haben einer Hochschulleitung gerade die Befugnis abgesprochen. Genau hierum geht es. Wenn man einen Wettbewerb zwischen den Universitaeten wuenscht, dann gehoert natuerlich dazu, dass diejenigen, die fuer die Institution verantwortlich sind, auch die Personalpolitik machen koennen in erster Linie die Fachleute aus den Fachbereichen. Die gesamtstrategische Steuerung muss in die Haende der Hochschulleitungen, also der Dekanate und Praesidien, gebracht werden. Denn die Gesamtlinie einer Uni kann nicht von einer Berufungskommission ueberblickt werden. Kein Mensch kaeme auf den Gedanken, die Bereichsleiter bei Mercedes durch den Wirtschaftsminister oder die Belegschaft auswaehlen zu lassen. Oder nehmen wir den Exzellenzwettbewerb. Der wird zu einer einzigartigen Verschiebung von Schwerpunkten in den Universitaeten fuehren. Deshalb haben DFG und Wissenschaftsrat den Hochschulleitungen als Antragsteller eine besondere Rolle zugewiesen.

FLIERL: Ich kann verstehen, dass aus der Sicht eines Praesidenten unternehmensaehnliche Steuerungsmodelle beispielgebend sind. Aber es kann nicht sein, dass sich Praesidialregime entwickeln, die sich ueber die Gremien hinwegsetzen. Es gab ja das boese Wort von Gerhard Casper, dem ehemaligen Stanford-Praesidenten, Demokratie habe an den Hochschulen nichts zu suchen. Ich sage: Autonomie als Selbstzweck bringt nichts. Das fuehrt nur zu staerkerer Hierarchisierung in der Hochschule und zur staerkeren Auslieferung an Partner, die nicht unmittelbar das oeffentliche Interesse vertreten. Autonomie kann nur mit doppelter Demokratisierung verbunden sein, nach innen und gegenueber der Gesellschaft.

TAGESSPIEGEL: Die Professoren haben zu viel Macht?

FLIERL: Die Umsetzung der Sparbeschluesse und die neue Strukturplanung war eine grosse Leistung der Hochschulleitungen, die allerdings im Wesentlichen als Top-down-Verfahren gelaufen ist. Ich habe grosse Sorge, dass die Hochschulleitungen daraus einen Dauerzustand machen und Praesidialregime etablieren wollen. Wir brauchen das Gegenstromprinzip. Der komplizierte Strukturumbau, der stattfindet, braucht die Mitwirkung aller Gruppen, sonst wird er an Widerstaenden scheitern.

TAGESSPIEGEL: Wie soll die Demokratisierung geschehen?

FLIERL: Indem man die satzungsgebenden Gremien gruppenparitaetisch verfasst. Das haben wir auch in der Koalitionsvereinbarung so festgeschrieben. Das Bundesverfassungsgericht schreibt zwar eine Dominanz der Professoren als Gruppe vor. Doch die wuerde dadurch realisiert, dass man ein Ueberkreuzwahlverfahren etabliert: Auch die anderen Statusgruppen haetten die Moeglichkeit, die Professoren mit zu waehlen. Wenn klar ist, dass alle wissenschaftsrelevanten Fragen von der Mehrheit der Professoren entschieden werden, spricht nichts dagegen, alle anderen Fragen durch viertelparitaetisch besetzte oder ueberkreuz gewaehlte Gremien zu entscheiden.

LENZEN: Es gibt nicht die Spur eines Anhaltspunktes dafuer, dass die jetzigen Gremien nicht funktionieren. Wenn es die jetzige Struktur nicht gegeben haette, dann waeren die Sparmassnahmen des Senats nicht umsetzbar gewesen es sei denn durch eine Top-down-Entscheidung des Senators. Es kann doch nicht sein, dass die Hochschullehrer dafuer gut genug waren und jetzt, da wir in die Gestaltungsphase kommen, heisst es: "Jetzt macht ihr Professoren das nicht mehr, sondern das machen die anderen". Die Professoren haben, weil sie neben den wissenschaftlichen Mitarbeitern viel laenger als Studierende in einer Uni arbeiten, die Folgen von Entscheidungen fuer ihre Wissenschaft am intensivsten zu tragen.

TAGESSPIEGEL: Herr Flierl, wuenschen sich die Studierenden und der Mittelbau wirklich, dringend mehr Einfluss zu bekommen, weil staendig die Demokratie ausgebremst wird?

FLIERL: Es geht nicht um eine soziale Bewegung, die wir aufzugreifen haetten, und es geht auch nicht um eklatante Steuerungsfehler. Es geht um die Grundauseinandersetzung, was soll Hochschule sein. Das von Herrn Lenzen eben dargestellte Modell, wonach die Hochschule die Umgebung fuer Professoren als Beamte auf Lebenszeit sein soll, entspricht einer archaischen Ordinarienvorstellung. Wir brauchen die Integration der anderen Gruppen, den motivierten wissenschaftlichen Nachwuchs und Mittelbau ebenso wie die in den Hochschulen beschaeftigten Dienstkraefte. Wir muessen auch das Interesse der Studierenden an einem studierbaren Studium ernst nehmen, auch wenn es sich nicht umfassend politisch in den traditionellen Formen von Studentenbewegung artikuliert.

LENZEN: Das geht doch voellig an der Wirklichkeit vorbei. Berlin hat die geringste Entscheidungsbeteiligung der Hochschullehrer in Deutschland. Wo immer Sie in dieser Republik darueber sprechen, dass hier die Viertelparitaet eingefuehrt werden koennte, ernten Sie Mitgefuehl und Empoerung. Meine Sorge ist, dass wir etwa bei dem Exzellenzwettbewerb oder bei anderen Zuwendungen Dritter, auf die wir angewiesen sind, hoeren werden: "Mit uns aber nicht, klaert erst mal die Verhaeltnisse." Gluecklicherweise hat ja aber der Regierende Buergermeister versprochen, dass aus Ihren Plaenen nichts wird.

TAGESSPIEGEL: Koennte die Viertelparitaet Berlins Unis im Exzellenzwettbewerb benachteiligen?

FLIERL: Da wuerde ich heftig widersprechen. Hochschule muss sich auch in Zeiten eines Exzellenzwettbewerbs stets neu denken. Wir sind ja vor allem einem Mainstream an neoliberalen Konzepten ausgesetzt, der Universitaeten wesentlich als Unternehmen denkt. Sie, Herr Lenzen, bewerben sich mit Ihren Projekten im Exzellenzwettbewerb und nicht mit der Berliner Hochschulpolitik. Sie koennen also auch nicht die Berliner Hochschulpolitik fuer die Aussichtschancen Ihrer Bewerbung zustaendig machen. Die Debatte um Exzellenzcluster fuehrt ja gerade dazu, Wissenschaft neu in gesellschaftliche Zusammenhaenge einzufuehren. Dann heisst das auch, dass die Hochschulen sich als gesellschaftlich-oeffentliche Institution neu denken, auch wenn Ihnen das laestig erscheint. Die Vorstellung, der Staat stoert nur bei der Modernisierung der Hochschulen scheint mir voellig falsch zu sein.

TAGESSPIEGEL: Wann kommt das neue Hochschulgesetz?

FLIERL: Ich gehe davon aus, dass die Novelle noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg kommt.

TAGESSPIEGEL: Und der Regierende Buergermeister, der die Viertelparitaet nicht will?

FLIERL: Der Regierende Buergermeister hat in diesem Fall keine Fachzustaendigkeit, wird aber sicher als wichtiger politischer Partner seine Meinung dazu einbringen und wie bisher sein Ohr den Uni-Praesidenten leihen. Wenn es nicht gelingen sollte, diese Debatte jetzt zu fuehren, wird das Thema im naechsten Jahr in den Wahlkampf beziehungsweise in die Koalitionsverhandlungen fuer eine neue Regierung eingehen.

LENZEN: Ich kann nur hoffen, dass wir nicht noch einmal in eine Grundsatzdebatte ueber die Funktion der Hochschulen hineingezogen werden. Wir muessen in den naechsten zwei Jahren alle Kraefte auf den Exzellenzwettbewerb konzentrieren. Daher kann ich nur appellieren, das Thema ein fuer alle Mal zu beenden und die Wettbewerbsfaehigkeit der Berliner Universitaeten nicht weiter zu gefaehrden.

Die Fragen stellte Anja Kuehne fuer den Tagesspiegel vom 12.09.2005